Vom Rhythmus des Lebens

Kennen Sie die „Poème Symphonique“ für 100 Metronome von György Ligeti? Ich bin durch einen Studienfreund darauf aufmerksam geworden, der vor fast eineinhalb Jahren diese Klanginstallation im Rahmen einer Lesung zum Thema „Zeit und Rhythmus“ zur Aufführung brachte.
Ich selbst war gar nicht da, sondern habe nur einen entsprechenden Zeitungsartikel gelesen, als ich wissen wollte, wo mein Freund, den ich zugegebener Maßen etwas aus den Augen verloren hatte, denn abgeblieben ist.
100 verschieden eingestellte Metronome, die unterschiedliche Takte vorgeben und am Ende mit den vielen sich überlagernden Rhythmen gemeinsam doch eine komplexe Gesamtstruktur ergeben. Ich bin an diesem Bild hängengeblieben, weil es mir als Metapher vieles zu verdeutlichen scheint.
Was kann den Rhythmus des Lebens besser versinnbildlichen als ein solcher Taktgeber? Was kann die unterschiedlichsten Tempi augenscheinlicher darstellen, als dieses je nach Einstellung schnelle oder langsame oder gar träge Ticken des Metronoms. Und am Ende bleibt nur noch eins übrig, nur noch ein langsames Ticken, das im Raum verhallt.

Es ist alles ganz vergänglich, so lautet der Leitsatz des biblischen Qohelet. Und während er in existenzieller Krise über das Wesen und Sein des Menschen nachdenkt, stellt er auch fest: Alles hat seine Zeit. Geboren werden und sterben; ausreißen und pflanzen, abbrechen und bauen, klagen und tanzen, lachen und weinen, lieben und hassen, streiten und sich versöhnen, behalten und wegwerfen, reden und schweigen.
Er beschreibt einen Rhythmus, zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Leistung und Muße, zwischen Beruf und Familie, zwischen bei mir sein und für andere da sein…

Dieser Rhythmus spiegelt sich selbst in unserem Körper wieder. Auch unser Körper hat zwei Taktgeber, den anregenden, die Leistungsfähigkeit steigernden Sympathikus und seinen Antagonisten, den Parasympathikus, der der Regeneration dient.

Die Balance, die in all diesen Rhythmen sichtbar wird, ist uns leider häufig verloren gegangen. Nicht nur, dass wir fast nur noch auf die Leistung achten, die wir selbst oder jemand anderes erbringen und die Zeiten der Erholung missachten oder als neuerliche Aktivzeiten missbrauchen.
Auch die mit der Erkenntnis der Rhythmen einhergehende innere Orientierung, das Bewusstwerden von Werten oder das Hinterfragen von Prioritäten fällt der einseitigen Ausrichtung an der Aktivität zum Opfer.
Wir wollen alles gleichzeitig machen. Emails schreiben, während wir telefonieren, nebenher evtl. noch den Newsticker mitlesen, um die Börsenkurse nicht zu verpassen. Essen und gleichzeitig lesen.

Wenn in György Ligetis sinfonischer Dichtung nach und nach die Metronome aufhören zu schlagen, so erinnert dies wie die Worte Qohelets an die Vergänglichkeit des Menschen.
Für uns heute mag die Erinnerung daran oftmals als eine Zumutung erscheinen im Hecheln von Termin zu Termin. Wer hat da noch Zeit, die Fragen nach dem Sinn zu stellen und sich Rechenschaft abzulegen.

Wenn ich heute in meinen Trainings aber etwas zum Thema Zeitmanagement mache, dann merke ich, dass es für die meisten meiner Trainingsteilnehmer nicht mehr darum geht, wie sie ihre Zeit noch effizienter gestalten können. In ihrer Zeitnot sind sie in dieser Hinsicht häufig schon sehr kreativ.
Viel wichtiger ist vielmehr, Zeitrhythmen erfahrbar zu machen und die Werte zu überprüfen, die wichtig sind und die das Leben bestimmen sollen.
Zeit-Bewusstsein zu schaffen und damit Achtsamkeit zu vermitteln für das, was gerade wichtig ist.

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